Alfred Ehrhardt – Vom Wesen der Natur

Alfred Ehrhardt war ein großer Meister der Bildkunst. Die Wirkung der Natur so eindringlich nahe zu bringen ist wenigen Fotografen gelungen. Doch Alfred Ehrhardt war mehr als Fotograf und Dokumentarfilmer. Sein vielschichtiges Werk ist Zeugnis eines herausragenden Künstlers. Der gebürtige Thüringer kannte die Welt und die Kunst. Zeit seines Lebens war er noch als Maler, Kunstdozent und Musiker tätig. Am Bauhaus begegnete er Künstlern wie Joseph Albers und Oskar Schlemmer. Von Kandinski ist bekannt, dass er die Arbeiten Ehrhardts sehr schätzte. Die Fotoserie Watt, ein Ergebnis seiner langen Fotowanderungen, sind im philosophischen Sinne naturalistische Meisterwerke. Von Walter Benjamin stammt der Irrtum, das die Neue Sachlichkeit nicht künstlerisch sei und und keine Imagination und Erkenntnis zuließe. Ehrhardts Watt-Bilder widerlegen diese These. Der Betrachter sieht nicht nur Wasser, Sand und Licht, er sieht ebenfalls Formen, Kontraste, Linien und Zeichen. In vielen „sachlichen“ Bildern August Sanders findet sich ebenfalls dieser Zauber. Die Natur in ihrem schlichten Abbild erscheint bei Ehrhardt als riesige Projektionsfläche für die großen Zusammenhänge. Die Schönheit und Anmut des Planeten wird zur Sinnstiftung des in die Welt geworfenen Menschen. Das Drama der Sterblichkeit wird ersichtlich, die Natur existiert auch ohne Menschen. Das ist Kontemplation, das ist Selbstvergewisserung und Meditation zugleich. Mehr kann ein Künstler nicht erreichen und Alfred Ehrhardt hat viel erreicht. Von den lebenden Zeitgenossen hat ähnliches der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado erreicht. Sein Bildband Genesis hätte Alfred Ehrhardt begeistert. Beide haben verstanden, dass die Natur alles ist und ohne Natur alles nichts. (f.)
Ausstellung in der Alfred Erhardt-Stiftung,
18. Januar bis 27. April 2014 Berlin
© alle Bilder: Alfred Erhardt-Stiftung

Fred Stein – Der freundliche Chronist

Es gibt Fotografien, die jeder kennt. Das schwarz-weiße Portrait Einsteins ist so ein Bild. Eine kolossale Aufnahme, die zur Erinnerungstextur des 20. Jahrhunderts wurde. Fred Stein ist der Name des Fotografen. Die fotografischen Arbeiten des gebürtigen Dresdners sind ein großes Erbe und ein großer Schatz in der Geschichte der Fotografie. Stein kam auf tragische Weise zum Beruf des Fotografen. Der studierte Jurist durfte in Nazideutschland als Jude nicht promovieren. 1933 floh der Rabbinersohn mit seiner Frau aus Deutschland. Wesentliche Stationen seines Lebens waren Paris und später New York. Mit einer handelsüblichen Kleinbildkamera der Marke Leica und später einer Rolleiflex fotografierte Stein sein Jahrhundert. Der bekennende Sozialist kümmerte sich zeitlebens wenig um Fototechnik, Licht und Retusche. Menschen waren ihm wichtiger. Vornehmlich porträtierte er nur Menschen, die ihn berührten, sei es intellektuell oder künstlerisch. Neben Einstein hatte Stein viele Geistesgrößen seiner Zeit vor der Kamera: ob Hannah Arendt (Bild), Chagall, Miró, Dalí, die Dietrich, Martin Buber, Thomas Mann, Bertolt Brecht, Arnold Zweig, Egon Erwin Kisch oder Willy Brandt, alle diese Portraits sind einzigartige Zeugnisse des letzten Jahrhunderts. Mit Brandt war Stein lebenslang befreundet und dieser hielt den Fotografen für einen „avantgardistischen und brillanten Fotografen“. Neben der Portraitfotografie war Stein auch ein leidenschaftlicher Straßenfotograf. Allerdings unterschied sich Steins Straßenfotografie von der heutigen Street Photography fundamental. Stein mochte Menschen und wollte die Fotografierten oft kennenlernen. Er war kein Jäger wie der Straßenfotograf Bruce Gilden, der zwar die Menschen auch mag, der aber seine Kamera als Waffe benutzt und Menschen regelrecht abschießt. Gildens künstlerische Egozentrik war Steins Sache nie. Stein war Sammler. Seine umfassende Sammlung ist erstmals im Jüdischen Museum Berlin zu sehen. Bilder: © Estate of Fred Stein (f)

São Paulo – Stadt ohne Zukunft

Vom Soziologen Ulrich Beck stammt der Begriff der Brasilianisierung des Westens. Am Ende dieser Brasilianisierung steht die totale soziale Ungleichheit. Mit allen Konsequenzen für die zerfallenden Gesellschaften: Kriminalität, Armut und Zerfall. Was in Europa erst begonnen hat, ist in vielen Städten Lateinamerikas und auch in den USA längst Realität. Der mexikanische Fotograf Carlos Cazalis fotografierte jahrelang die brasilianische Stadt São Paulo. Die Stadt ist ein monströser Kosmos. Mit über zwanzig Millionen Einwohnern zählt sie zu den wirklichen Megacitys der Welt. Cazalis Bilder sind einzigartig. Sie zeigen uns weder einen postapokalyptischen Menschenzoo noch koloriert der Fotograf das alltägliche Elend dieser Megastadt voyeuristisch. Seine Bilder sind belichtete Soziologie. Sie erzählen von einer kapitalistischen Welt in der nur das Recht des Stärkeren zählt. Für immer mehr Bewohner in den Slums São Paulos wird das Leben zu einem permanenten Struggle for life. Die sozialräumliche Polarisierung ist ein wahrer Alptraum. Den Slums stehen immer mehr Gated Communities gegenüber. Es entstehen militärisch überwachte Siedlungen für Wohlhabende. Während die Paranoia der Reichen der Sicherheitsindustrie immer neue Rekordumsätze beschert, nimmt die Zahl der Obdachlosen beständig zu. In Stadtvierteln wie Alphaville konzentriert sich obszöner Reichtum, doch abseits dieser Enklaven des Reichtums herrschen bittere Armut und Tristesse. All das steht Europa noch bevor. Bilder: © 2013 Carlos Cazalis/Kehrer Verlag (f)

NARCO CULTURA – Krieg als Popkultur

Der mexikanische Fotograf Enrique Metinides fotografierte seine erste Leiche als kleiner Junge. Metinides fotojournalistische Arbeit aus mehr als dreißig Jahren sind harter Stoff: Katastrophen, Mord und Totschlag. Heute herrscht in einigen Gebieten Mexikos ein innerstaatlicher Krieg, den der Staat nicht mehr gewinnen kann. Gut organisierte und mit modernster Waffentechnik ausgerüstete Drogenkartelle haben das Land fest im Griff. Die paramilitärischen Einheiten der Kartelle sind in ihrer Brutalität unübertroffen. Tausende tote Polizisten und ca. 50 000 Opfer bis Ende 2011. Dieser innerstaatliche Krieg gehört in Mexiko und auch im Süden der USA mittlerweile zur Popkultur. Über diese Narco Cultura hat der israelische Fotograf Shaul Schwarz einen Dokumentarfilm gedreht. Schwarz war schon vorher als Fotograf mehrere Jahre in Mexiko und fotografierte den Drogenkrieg. Sein Film zeigt eine bizarre Wirklichkeit. Da singt trinkendes Partyvolk in einem Club:“Wir sind blutdurstig, durchgeknallt und lieben es zu morden.“ Eine Frau beweint ihren bei lebendigem Leib enthaupteten und zerstückelten Sohn. Doch wer hier denkt, die Welt sei aus den Fugen, der irrt. Nicht nur die Musiker der Narcocorridos verherrlichen diese Drogenkultur, auch große Teile der Menschen bewundern den Erfolg der Dealer und Schmuggler. Die Drogenkultur Mexikos erbringt mehr als die Sklaverei als Tagelöhner und ist zu einer Art Gegenkultur geworden. Diese eindeutige Lektion des freien Marktes hat in Mexiko der letzte Strauchdieb begriffen. Shaul Schwarz zeigt uns in drastischen Bildern, das Mord und Totschlag in der entsolidarisierten Gesellschaft auch nur zugespitzte Marktwirtschaft ist. (f)

Jeder gegen Jeden! Rette sich wer kann!

Ego von Frank Schirrmacher

Die Botschaft des FAZ-Herausgebers Frank Schirrmacher ist klar. Das gegenwärtige Wirtschaftssystem des Westens ist krank und wird am Ende nur Zerstörung und Verwüstung hinterlassen. Verschwörungstheorien oder Paranoia sind nicht Schirrmachers Sache, er hat lediglich ein enorm kluges Buch über die Entstehung des digitalen Finanzkapitalismus geschrieben. Das der Publizist ein feines Gespür für die relevanten Themen seiner Zeit hat, bewies er schon mit seinen Büchern über die Entwicklung der Demographie (Das Methusalem-Komplott) und die Zusammenhänge der Computerindustrie (Payback). EGODas Spiel des Lebens unterscheidet sich wohltuend von der inhaltsleeren Geschwätzigkeit vieler kapitalismuskritischer Texte der Gegenwart. Schirrmacher beherrscht die Recherche, er versteht die Materie und kann vor allem denken. Für Schirrmacher ist der gegenwärtige Informationskapitalismus das Resultat des Kalten Krieges. Die Spieltheorien des Kalten Krieges sind es, die die heutigen Grundlagen des spekulativen Kapitalismus darstellen. Algorithmen beherrschen das Leben der Menschen. Und dies nicht zu ihrem Wohl. Schirrmacher präsentiert Zusammenhänge die grundsätzliche Fragen aufwerfen. Wenn der Einzelne jegliche Autonomie verloren hat, so kann niemand mehr ernsthaft von einer demokratischen Gesellschaft reden. Angesichts solcher Schlussfolgerungen wirkt das öffentliche Gerede von der marktkonformen Demokratie obszön und zynisch. Wenn man Schirrmacher zu Ende denkt, dann wird der maschinengetriebene Egoismus in einem monströsen Niedergang enden. Jeder gegen Jeden, rette sich wer kann! Diese Botschaft wird den Mietmäulern und Propagandisten des Lumpenbürgertums nicht schmecken. Die Mythen der bürgerlichen Welt sind durch die freien Märkte entzaubert worden. Demokratie ist zum Bullshit-Bingo verkommen. (f)

Der Mann aus Dodge City

Double Standard, 1961
Location: Los Angeles, Ca USA
6.87 x 9.79 inch

Als Schauspieler bleibt Dennis Hopper unvergessen. Seine Auftritt als psychopathischer Frank Booth in David Lynchs Blue Velvet war große Darstellungskunst. Doch der Mann aus Dodge City war auch ein ebenso leidenschaftlicher wie ernsthafter Fotograf. Sein fotografischer Nachlass ist Teil jener berühmten amerikanischen Fotokunst, die das letzte Jahrhundert hervorgebracht hat. Hoppers Fotografien sind melancholische Schnappschüsse einer versunkenen Epoche voller Vitalität und Ekstase. Seine Portraits von Menschen und Orten kommen ohne Pathos und Schnörkel aus. Hopper glorifiziert nie, er dokumentiert lediglich. Eindrucksvoll ist Hopper immer dann, wenn er alltägliche Situationen festhielt. Fernab vom lärmenden Eskapismus seiner prominenten Zeitgenossen, kann Hopper auch ruhig. Ein sonderbar stoischer Charme findet sich in vielen seiner Bilder. Ob Stierkämpfe, Demonstrationen oder Friedhöfe, Hopper bleibt gelassen. Diese Gelassenheit ist es, die Hopper mit vielen Großen der amerikanischen Fotografie verbindet. Aber auch Schwermut kommt beim Betrachten der Bilder auf. Hoppers Amerika existiert nicht mehr. Der Rausch ist vorbei, die Musik verklungen und der Duke reitet nicht mehr. John Wayne ist tot, Dean Martin und Paul Newman ebenso, nur wenige der Abgebildeten leben noch. Niemand drückt mehr eine Patrone in den Lauf, der Hedonismus des amerikanischen Jahrhunderts ist untergegangen. Im aufkommenden androiden Zeitalter der starren Maschinenmenschen zählen nur noch Effizienz und die Pornographie der Dinge. Hopper fotografierte in einer Welt, in der es noch schön war zu leben. Die nach ihm kommen, werden dieses Glück nicht mehr haben. (f) © Bild: Double Standard, 1961 – The Dennis Hopper Art Trust – Ausstellung: Dennis HopperThe lost Album im Martin-Gropius-Bau, Berlin

Berlin – Gundula Schulze Eldowy

Gundula Schulze Eldowys Bilder sind Heimat. Ihre Fotografien gehören sicherlich zu den ergreifendsten und bedeutendsten Werken der deutschen Fotografiegeschichte. Ihre Bilderserien und Zyklen aus den Jahren 1971-1990 sind zivilisationskritische Meisterwerke von enormer Ausstrahlung. All ihren Bildern ist anzumerken, dass die Fotografin große Empathie für die portraitierten Menschen empfand. Das unterscheidet Gundula Schulze Eldowy wohltuend von der mit ihr oft verglichenen amerikanischen Kollegin Diane Arbus. Während die Arbus nach eigener Aussage “das Böse fotografieren” wollte um die Missratenheit der Welt zu beweisen, berichten die Bilder Gundula Schulze Eldowys sehr anrührend vom Leben und Sterben in einer geschlossenen Gesellschaft. Wir sehen Ost-Berlin, es ist eine öde, verlorene und versunkene Welt. Schonungslos, gar unerbittlich wirken ihre Bilder. überall das Drama der Sterblichkeit, überall in die Welt geworfene Menschen. Neben all dem Handwerk, jenseits von Konzeption und Gestaltung, hat die Künstlerin ein außerordentlich feines Gespür für den großen Augenblick. Das macht die Kraft ihrer Fotografie aus. Alle ihre Bilder haben Würde, weil die abgebildeten Menschen Würde haben. Über diesen Rubikon gehen nur große Fotografen. Ihre Schwarz-Weiß-Aufnahmen sind im Sinne Walter Benjamins frei von jeglichem “kunstgewerblichen Einschlag”. Die Fotografin verdinglicht in ihren Bildern keinen tristen Lokalkolorit, auch ist die große politische Geste nicht ihre Sache. Das Schöpferische in ihren Bildern ist der ungelöste Konflikt vom Leben zwischen Vergeblichkeit und Wirklichkeit. Dieser Konflikt findet sich auch in den Bildern namhafter Kollegen der Fotografin, sei es bei Arno Fischer, Sibylle Bergemann, Helga Paris, Roger Melis und vielen anderen. Die Fotografin steht in der Tradition von Dorothea Lange, Lewis Wickes Hine und Margaret Bourke-White, allesamt sozialdokumentarische Meister, die in dieser Klasse in der zeitgenössischen Fotografie von heute rar sind. Das Berlin der Fotografin existiert nicht mehr, der Prenzlauer Berg ähnelt heute einer Shoppingmall. Verklungen sind die alten Lieder, das Terrain ist in den Händen anderer. Selten sind noch Fotografen wie Harald Hauswald anzutreffen, die einen neuen Film in die Kamera drücken. Dem Leipziger Lehmstedt Verlag ist mit dem Bildband Berlin in einer Hundenacht ein großartiges Stück Fotokunst gelungen, eine Ausstellung mit Fotos aus den Jahren 1977-1990 sind im C/O Berlin zu sehen. (f)

Tittytainment und Blödmaschinen

Von der sympathischen Gutenberg-Galaxis Marshall McLuhans bis in die Medien-Kolonien der Dummheit war es eine kurze Reise. Am Ende dieser Entwicklung sind die Medien heute Blödmaschinen, die unentwegt Stupidität produzieren. Markus Metz und Georg Seeßlen ist es in ihrem Buch Blödmaschinen gelungen, die Codes ebendieser zu entschlüsseln. Für die Autoren reicht es nicht aus nur in das Lamento von der Zunahme der allgemeinen Verblödung einzustimmen. Die von Neil Postmann beklagte Infantilisierung der Gesellschaft findet zwar permanent statt, doch das eigentliche Problem an der Blödheit sehen die Autoren woanders. Für sie gilt: Blödheit ist Dummheit plus Benommenheit. Blödmaschinen können überall sein, sie sind ein exponentielles Phänomen. Die Medien, hier vor allem das Fernsehen, sind zur reinen Arschlochkultur verkommen. Volksverdummung ist zu einer prosperierenden Industrie geworden, Das Fernsehen, “dieses Medium der Schläfrigen“, wie Martin Walser das einmal nannte, dient nur noch der Idiotisierung und Alarmisierung der Massen. Selbst die durch Zwangsgebühren finanzierten „öffentlich-rechtlichen Bedürfnisanstalten(Georg Schramm) ARD und ZDF befinden sich im freien Fall. An der „emotionalen Pissrinne (Schramm) von Shows wie Kerner, Beckmann oder den unsäglichen Politikquasselrunden wie Anne Will, Maischberger oder Maybritt Illner wird die offene Gesellschaft nur simuliert und den Zuschauern Sand in die Augen gestreut. Das man in seichten Gewässern nicht untergehen kann, wußte schon der damalige RTL-Chef Thoma. Die dargebotene Obszönität, die unglaubliche Vulgarität und die sinnfreie Primitivität dieses Betäubungsfernsehens kennt keine Grenzen. Unentwegt werden die Sinne des Zuschauers mit immer geschmackloserem Bildermüll bombardiert. Täglich befeuern neue Formate und Sendeformen die kollektive Erregung. Jede noch so derbe Schrulle, jede noch so niedere Einfallslosigkeit wird gesendet. Dieses Asozialen-TV und Affekt- oder Unterschichtenfernsehen ist zu einer bizarren Manipulation unserer Alltagswirklichkeit herangewachsen. Die „universalisierte Geschmacklosigkeit“, wie das der Philosoph Nobert Bolz nennt, hat sich wie eine unheilbare Krankheit ausgebreitet. Auf allen Kanälen überwiegend Stumpfsinn, läppischer Pippifax und hirnloser Kokolores. Ernshaftigkeit wird verhöhnt, Inhalte negiert. Zwischen all den grenzdebilen Kochshows, sezierenden Pathologen und brutal werkelnden Heimwerkern gibt es keine Verschnaufpause. Die Autoren wissen das Medien nicht mehr Weinberge des Geistes sind, sondern Bergwerke der Dummheit. Neben den platten Wirklichkeiten der Fernsehwelt existieren noch andere Blödzonen. Soziale Netzwerke wie Facebook sind der Inbegriff epidemischer Dummheit. Facebook ist der Gulag eskapistischer „Mitteilungsinkontinenz(Botho Strauß), dort verstärkt sich die Dummheit in Form des „erbrochenen Alltags(Strauß). Der Medienkapitalismus hat eine überhitzte und orientierungslose Mediengesellschaft erschaffen, die ausschließlich auf Blödheit und Benommenheit abzielt. Die Verbreitung struktureller Blödheit ist politisch gewollt, denn das Hauptziel der weltweiten Tittytainment-Strategie ist die Unterdrückung der Massen durch Unterhaltung. Schon Seneca wußte, wer überall ist, ist nirgendwo. (f)

Die totale Wirtschaft

Der Urvater der Volkswirtschaftslehre, Adam Smith, schrieb in seinem Werk Theorie der moralischen Empfindungen: „Keine Gesellschaft kann gedeihen und glücklich sein, in der der weitaus größte Teil ihrer Mitglieder arm und elend ist“. Respekt und Wohlwollen für den Anderen hielt Smith für die Grundlage der Moral und den inneren Antrieb zur Arbeit. Seine Ideen vom Wohlstand der Nationen, die auch immer den Wohlstand des Einzelnen bedeutet, sind heute lange überholt und weltweit korrumpiert. Das elementare Heilversprechen der Wirtschaft, das durch die Verfolgung privater Wirtschaftsinteressen auch immer das Gemeinwohl profitiert, hat sich als Trugschluss und Zerrbild erwiesen. Heute gilt eher der Satz des bedeutenden Ökonomen John Maynard Keynes, der feststellte: „ Der Kapitalismus basiert auf der merkwürdigen Überzeugung, dass widerwärtige Menschen aus widerwärtigen Motiven irgendwie für das allgemeine Wohl sorgen werden.” Smith und Keynes sind lange tot, ihre Ideen ebenso. Als Moralphilosoph wäre Smith sicher entsetzt. Er sähe heute schlimme Dinge. Der digitale Finanzkapitalismus hat aus den Gesellschaften plutokratische Oligarchien werden lassen, die Kriege um Ressourcen und Märkte sind voll entbrannt. Der „Schock-Kapitalismus“ und sein „brutales Konzept“, wie die kanadische Autorin Naomi Klein das nennt, ist mittlerweile in jedem Dorf angekommen. Überall feiert der „Turbokapitalismus(Helmut Schmidt) Siegeszüge und teilt die westliche Welt sozialpolitisch nach dem Muster Bagdads in „grüne“ und „rote“ Zonen. Laut dem UNO-Bevölkerungsprogramm UNFPA wird es ab 2008 erstmals auf der Erde mehr Stadtbewohner als Landbewohner geben. Der „Planetarisierungsstress(Peter Sloterdijk) hat jede Hütte erreicht. Ob ethnische oder soziale Segregation in westlichen Metropolen oder die Verwerfungen in vielen Teilen der dritten Welt, all das sind nur Blaupausen für kommende Erschütterungen. Die Brasilianisierung des Westens, wie der Soziologe Ulrich Beck diese Umwälzungen nennt, schreitet unaufhörlich voran. „Es wird immer deutlicher: Weniger persönlicher Reichtum als vielmehr die Konzentration von finanzieller Verfügungsmacht und massenpsychologischer Einflussmacht in relativ wenigen Händen entwickelt sich zu einer ernsten Gefahr für eine offene Gesellschaft.“ So schrieb Helmut Schmidt schon im Jahr 2003 in seinem bemerkenswerten Essay “Das Gesetz des Dschungels“. Was Jeremy Rifkin den Hyperkapitalismus nennt, gehört heute unvermeidbar zur Lebenswirklichkeit der meisten Menschen. Die totale Ökonomisierung von Lebensraum und Lebenswirklichkeit ist zu einem Zustand der permanenten Mobilmachung geworden. Der aus dieser Mobilmachung resultierende „flexible Mensch(Richard Sennett) lebt in einer Welt der totalen Unrast und der steten Veränderung, Die Hochgeschwindigkeit dieses digitalen Kapitalismus verwüstet die bestehende Ordnung und ruiniert die Sozialgemeinschaft. Für die meisten Menschen in diesen modernen „Arbeit- und Unglückswelten (Sloterdijk) existiert nur noch Gegenwart. Es gibt keine planbare Zukunft mehr, das Kommende birgt unkalkulierbare Risiken. Dieser beschleunigte „Drift(Sennett) wird durch das „ungeduldige Kapital(Brennett Harrison) verursacht. Der wahnhafte Glaube an an die schnellen Renditen und die maßlose Gier nach Expansion stellt die Prinzipien unserer Gesellschaften in Frage. Der Dramatiker Heiner Müller bezweifelte schon vor Jahren, das wir in einer Demokratie leben. Die Bundesrepublik war für ihn eine Oligarchie, in der „Wenige von den Vielen“ leben. Für den Eliteforscher Michael Hartmann gehören die Mächtigen der Wirtschaft einer elitären und geschlossenen Gesellschaft an. Der Hyperkapitalismus hat Strukturen geschaffen, die unaufhörlich eine „militante Unterklasse von Ausgegrenzten und Aussteigern, die das Tempo nicht mithalten können oder wollen(Peter Glotz) produziert. Die „Kulturkämpfe um die richtige Lebensführung(Glotz) sind in vollem Gange. Kritiker und Gegner dieser Survival of the Fittest -Welt werden von den Apologeten des radikalen Marktes oft als Antikapitalisten und Kommunisten denunziert. Diesem Unsinn hat der Kulturwissenschaftler Joseph Vogl mit seinem Essay Das Gespenst des Kapitals nun ein Ende bereitet. In seinem Text werden die Strukturen des kapitalistischen Denkens über die Jahrhunderte bis heute entzaubert. Eine wahre Tour de force durch die Geschichte der Ökonomie. An Ende wartet die Erkenntnis, das „totalisierter Wettbewerb zum Verfall von Gesellschaften führt“. Und der Alp wird nicht enden. (f)

Quentin Tarantinos totes Kino!

Schon Adorno wusste, das die Popkultur Massenbetrug ist und die Kulturindustrie das Publikum mit “trivialen, oberflächlichen Nichtigkeiten” abspeist. Das Filmregisseure wie Quentin Tarantino (Inglourious Basterds) heute als Maßstab cineastischen Ausdrucks gelten, ist ein Indiz dafür, das wir in der postdemokratischen Gesellschaft (Colin Crouch) angekommen sind. Quentin Tarantinos Filme sind postdemokratischer Eskapismus und sein massenkompatibles Effektkino wird vom hysterischen Blockbusterpublikum unserer Zeit kritiklos goutiert. Tarantinos Bilder sind reiner Bluff, seine emotional leeren Filme erzeugen einen Zustand geistloser Coolness, der in der ausgemendelten, kapitalistischen Effizienzwelt als hip gilt. Tarantino liefert Bilder wie Toyota Autos baut. Sein Erfolgsgeheimnis ist, dass er Inhalte und Substanz negiert und Tiefe verabscheut. Tarantino kann nicht tief, er lebt vom Niedergang der Kultur. Die Bildsprache von Regisseuren wie Hitchcock, Kurosawa, Kubrick (Foto)oder Tarkowski ist dagegen wahrhaft genuin, denn sie werden von den Schätzen tausend Jahre alter Kulturen getragen. Tarantinos Bilder werden durch nichts getragen, er produziert visuellen Quaksprech (Orwell) und verliert sich in infantiler Regression. Sein Kino ist immer eklektisch. Er kannibalisiert, plündert und verhackstückt die Filmgeschichte gnadenlos. Als Kopist des Bestehenden wird er zum Totengräber der Filmkunst. Seine Filme sind nur Strandgut einer überhitzten und desorientierten Mediengesellschaft. Regisseuren wie David Lynch oder Peter Greenaway kann Tarantino nicht das Wasser reichen. Deren Substanz ist die Musik, Malerei und Literatur, sie schöpfen aus anderen Quellen. Tarantino hingegen entweiht das Kino, weil er im Kern banal ist. Aus der Banalität aber resultiert nichts anderes als die Unterdrückung der Massen durch Unterhaltung. Statt seelischer Erhebung oder Erkenntnis findet man bei Tarantino nur Destruktion und Stumpfsinn. Der eigentliche Skandal am neuen Film von Tarantino ist nicht, das er ein historisch ernsthaftes Thema wie den Nationalsozialismus als Kulisse für seine Unterhaltungsklamotte missbraucht, sondern das diese Kumpanei aus unzureichender Darstellungskunst und Amüsierfaschismus (Peter Sloterdijk) mit 6,8 Millionen Euro “stupid german money” vom Deutschen Filmförderfonds subventioniert wurde. Keinen Euro davon war der Film wert. (f)