Vom Leben im Panoptikum

F.Giebichenstein, Panoptikum

Der Internetpionier Clifford Stoll verglich vor etlichen Jahren einmal den Versuch der sinnvollen Nutzung des Internet damit, als würde man versuchen aus einem aufgedrehten Feuerwehrschlauch Wasser zu trinken. Ein frustranes Erlebnis. Das Internet Stolls ist heute zu dem geworden, was Paul Virilio vor mehr als drei Jahrzehnten als „digitale Kolonie“ beschrieb. Das Internet war und ist keine erbauliche Sphäre, sondern es hat sich zu einem Panoptikum entwickelt, das hauptsächlich der Überwachung und Kontrolle dient. Es ist zu der Erfahrungen geworden, die Walter Kempowski in seinem Buch Bloomsday ’97‘ über das Fernsehen beschrieb. Kempowski zappte damals 24 Stunden wahllos durch das lineare Fernsehprogramm. Was er sah war eine verheerende Bewusstseinstrübung, eine Reise in eine trostlos und geistlose Wirklichkeit. Das Internet hat das Fernsehen ersetzt. Wer heute leichtfertig eine App öffnet, begibt sich in eine lebensfremde Parallelwelt in der die Wahrheit permanent zu „Informationsstaub“ (Byung-Chul Han) zerfällt. Robusten Naturen wird es wie Adorno gehen. Er kam immer dümmer aus dem Kino als er reinging. Der Schaden blieb gering. Dem Rest der Nutzer blüht etwas anderes. Ihre Sinne werden einem ultimativen Stresstest ausgesetzt. Das Netz hat sich in eine monströse Dystopie verwandelt. Man hat schon nach wenigen Minuten begriffen, was der Schriftsteller Jonathan Frantzen meinte, als er feststellte, dass das Silicon Valley unentwegt Stupidität produziert. Längst sind die Claims abgesteckt, jetzt ist Erntezeit. Die Nutzer wurden zur fetten Beute einer eskalierten Datenindustrie. Alles, wovor besonnene Geister wie Joseph Weizenbaum gewarnt haben, ist heute längst übertroffen. Für Weizenbaum war es schon Dummheit, planlos im Netz unterwegs zu sein. Seine damalige Technikkritik wirkt angesichts der Entwicklung der Sozialen Medien wie aus der Zeit gefallen. Aus der „verwalteten Welt“ Adornos ist eine digitale Strafkolonie geworden. Aus dem Heilsversprechen von den guten und wahrhaften Informationen für alle ist ein datenfressender Optionenvernichter von Lebenszeit geworden. Diese digitale Strafkolonie ist zu dem geworden, was der spanische Autor Ortega y Gasset über die Massengesellschaft schrieb. Der digitale Raum ist die Kloake der Allzuvielen. Hierzu schaue man nur auf die jährlich veröffentlichten Hitlisten der Suchmaschinen. Konsumistische Predatoren sind auf der Jagd nach abscheulichen Sexualpraktiken, während die Aggregatoren und Realitätsdesigner dieser digitalen Industrie die Zersetzung des Gemeinwohls immer aggressiver und perfider vorantreiben. Der Besuch von Plattformen wie TikTok oder Instagram ist Entmenschlichung auf psychologisch hohem Niveau. Plattformen wie Twitch, OnlyMoves oder Chaturbate sind die Endgegner in den Dungeons der verwahrlosten Gesellschaft. Hier treffen sich Wegelagerei, Prostitution, Bettelei und Würdelosigkeit in beinahe erbarmungswürdiger Schlichtheit. Die Sprache ist schwere Kost. Ein Kauderwelsch aus Rap, radebrechenden „Kiezdeutsch“ und unterwürfigen Dummdeutsch, inhaltlich immer dürftig, ja erschreckend ahnungslos von jeglichen kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen. Nur wenige Streamer, Content Creatoren, Influencer und Youtuber gelangen an die Fleischtöpfe des Geldes, der Rest strandet in den digitalen Wüsten der Belanglosigkeit . Arm auch die Einfalt dieser Content Creatoren, die ihre inhaltsleeren Einlassungen zu Fragen der Kultur, Politik und Gesellschaft selbstreferenziell abfeiern. Doch am Horizont werden immer nur wieder die gleichen saturierten Texturen des Lebens sichtbar, die aus wehleidigem Sozialkitsch, Geld und Anmaßung bestehen. So wie alle Kunst nicht politisch sein muss, das Leben schon gar nicht, so gibt es kein richtiges Leben im Metaversum, auf Instagram oder Facebook. Hier muss man dem Scherz des schwatzhaften Philosophen Slavoj Žižek beipflichten. Er würde Mark Zuckerberg im GULAG einquartieren, ebenso wie den Philosophen Peter Sloterdijk, diesen jedoch nur als Koch. In den digitalen Strafkolonien der Milliardärssozialisten und Cyberbarone gibt es kein Gemeinwohl, sondern nur Gefangenschaft. Es sollten zu den Like- und Unlike-Buttons auch eine Delete oder Auslöschtaste geben, die diesen Tsunami an Zerstörung stoppt. Im Kern ist das System dieser verdrahteten Sphären nicht auf Gemeinschaft aufgebaut, sondern folgen schlichten Regeln der Vermarktung und Selbstausbeutung. Die Nutzer werden reduziert auf das dienstbare Personal einer imaginären Knechtschaft des Konsums. Freiwillig synchronisiert sich dieses Personal mit den Produktzyklen weltweiter Lieferketten. All die Auspacker, Berichterstatter und Warenfetischisten plündern im Stundentakt die neuesten Produkte der asiatischen Sweatshops. Diese weltweite Armee dampfender NPC-Maschinen (Non-Playable Character) sind der eigentliche Erfolg von BigTech. Alle Lebensbereiche sind inzwischen kontaminiert von diesem Gadgetporn. Immer raffiniertere Propaganda- und Manipulationstechniken erobern den digitalen Raum. Immersive Spielewelten und Künstliche Intelligenz werden zum Lebensersatz. Doch das transhumanistische Paradies ist nur Mummenschanz und Blendwerk. Die verdrahtete Welt ist eine kontrollierte Versuchsanordnung, alles wird gespeichert, protokolliert und ausgewertet. Unser Alltag wir durch „elektronische Signale“ kontrolliert (Zygmunt Bauman) und wir haben uns eingerichtet in diesem Panoptikum. „Glückliche Sklaven sind die erbittertsten Feinde der Freiheit.“ Dieser Satz stammt von der klugen Freifrau Marie Ebner von Eschenbach. Sie hat kein Insta, ist weder bei Meta noch Twitch und benutzt auch kein WhatsApp oder Youtube. Sie ist seit 1916 tot, aber ihr Satz wird länger strahlen als das Internet.

Die Wüste Internet, Clifford Stoll

Infokratie, Byung-Chul Han

Why Machines Will Never Rule the World
Landgrebe, Jobst, Smith, Barry